Hegelianismus

Hegelianismus
He|ge|li|a|nịs|mus, der; -:
Gesamtheit der philosophischen Richtungen im Anschluss an Hegel.

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Hegelianịsmus
 
der, -, Sammelbezeichnung für die sich an G. W. F. Hegel anschließenden oder sich auf ihn berufenden philosophischen Strömungen im 19. und 20. Jahrhundert Schon bald nach Hegels Tod (1831) spaltete sich der Kreis seiner Schüler und Anhänger in zwei Lager. Die Rechtshegelianer (H. F. W. Hinrichs, H. B. Oppenheim, J. E. Erdmann u. a.) vertraten politisch einen monarchistisch-nationalliberalen Standpunkt. In der Theologie suchten sie die hegelsche Religionsphilosophie mit der christlichen Orthodoxie in Einklang zu bringen. Viele der Althegelianer, der Kreis der unmittelbaren Schüler Hegels, der sich größtenteils im »Verein von Freunden des Verewigten« zusammengefunden hatte, standen den Rechtshegelianern nahe. Die Linkshegelianer vertraten dagegen demokratisch-liberale bis sozialistische Ansichten, gaben der hegelschen Religionsphilosophie eine Wende zum Pantheismus (B. Bauer) oder zum Atheismus (L. Feuerbach) und bezogen sich wesentlich auf die hegelsche Dialektik. Die Linkshegelianer setzten sich vorwiegend aus Junghegelianern zusammen, also aus Vertretern, die nur noch wenig persönliche Berührung mit Hegels Lehrtätigkeit hatten. Zu ihnen gehörten u. a. D. F. Strauss, A. Ruge, M. Stirner, K. Marx und F. Engels. Eine eindeutige Zuordnung lässt sich nicht in allen Fällen vornehmen; so nahmen z. B. E. Gans und K. L. Michelet politisch eine vermittelnde Rolle ein. In einer ersten Phase (bis etwa 1840) wurden die Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linkshegelianern v. a. auf theologischem Gebiet ausgetragen. Darauf folgte eine Zeit stärkerer Politisierung. Die Linke sammelte sich um die von A. Ruge und T. Echtermayer herausgegebenen »Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst« (1838-41) und deren Nachfolger, die »Deutschen Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst«.
 
Mit der Revolution von 1848 trat der Hegelianismus, der um 1840 die philosophische Szene in Deutschland beherrschte, zugunsten anderer philosophischer Strömungen, die um 1860 in den Neukantianismus mündeten, zurück. Nur bei einzelnen Vertretern aus der Blütezeit (z. B. Michelet, Erdmann) und etwa bei A. Lasson, dem Ästhetiker F. T. Vischer, bei E. von Hartmann und in der Philosophiegeschichtsschreibung K. Fischers finden sich noch Orientierungen an Hegels Philosophie. Spätestens seit R. Hayms Vorlesungen über »Hegel und seine Zeit« (1857) war Hegel als preußischer Staatsphilosoph diskreditiert und wurde in der deutschen Universitäts-Philosophie kaum noch berücksichtigt. Eine gewisse Kontinuität gab es dagegen im außeruniversitären Bereich im Marxismus und im Ausland, v. a. in Polen (A. Cieszkowski), in Russland (M. Bakunin, W. G. Belinskij, A. I. Herzen, G. W. Plechanow), in Großbritannien (F. H. Bradley, E. MacTaggart), in den USA (G. S. Morris, J. Royce u. a. Vertreter der Schule von Saint Louis), in Frankreich (J. Hyppolite, A. Kojève) und in Italien (F. De Sanctis, A. Vera, B. Spaventa).
 
K. Fischer und W. Dilthey leiteten um die Jahrhundertwende in Deutschland aus den Schulen des Neukantianismus eine Hegel-Renaissance ein (Neuhegelianismus).
 
Im Zusammenhang mit den an M. Heidegger anschließenden hermeneutischen Schulen (Hermeneutik) setzte in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zunehmend eine Beschäftigung mit Hegel, jedoch mit überwiegend philosophie- und wirkungsgeschichtlichem Interesse ein, so z. B. durch H.-G. Gadamer, K. Löwith, J. Ritter, M. Riedel und D. Henrich.
 
Aus unorthodox marxistischer Sicht haben G. Lukács und E. Bloch Hegel rezipiert. Auch Vertreter der Frankfurter Schule (T. W. Adorno, H. Marcuse) haben sich intensiv mit Hegels Dialektik und Geschichtsphilosophie auseinander gesetzt.
 
1955 wurde die »Deutsche Hegel-Gesellschaft« gegründet (seit 1958 »Internationale Hegel-Gesellschaft«). Daneben besteht die von Gadamer 1962 ins Leben gerufene »Internationale Vereinigung zur Förderung des Studiums der Hegelschen Philosophie«. In Bochum befindet sich seit 1968 das »Hegel-Archiv«.
 
Literatur: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich.

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He|ge|li|a|nịs|mus, der; -: Gesamtheit der philosophischen Richtungen im Anschluss an Hegel.

Universal-Lexikon. 2012.

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